Issa schrieb mehr Haiku über Frösche als über Katzen. Aber Katzen sind süßer und vor allem das Internet-Tier überhaupt. Die Katze ist definitiv das Tier, das am stärksten mit dem Internet und dem World Wide Web assoziiert wird. Die Dominanz von Katzeninhalten ist so ausgeprägt, dass sie zu einem Kulturphänomen geworden ist. Da docke ich an!
Ich habe mir für diesen Beitrag eben die größeren Chancen ausgerechnet. Sorry, liebe Frösche, auch wenn ihr Witz habt und sympathisch rüberkommen könnt. Die Mieze gewinnt!
Kobayashi Issa (1763–1828) war ein japanischer Haiku-Dichter der Edo-Zeit, bekannt für seine humorvollen, mitfühlenden und oft tierbezogenen Gedichte. Er brachte in einfacher Sprache die Schönheit und das Leid des Alltags zum Ausdruck und galt als Stimme der einfachen Menschen.
Hier also sind 20 klassische Haikus von Issa, die vom Stubentiger handeln. Die Auswahl berücksichtigt eine breite Palette von Themen und Stimmungen. Ja, die Gedichte sind schon rund zweihundert Jahre alt, aber sie bleiben zeitlos und wahr. Typisch ist Issas liebevoller und augenzwinkernder Stil. Siehe auch: Haiku mit Schmetterlingen – 20 zauberhafte Kurzgedichte von Issa
Auf japanisch heißt die Katze übrigens „neko“. Das ist verwandt mit Maneki-neko, dahinter verbergen sich die glückbringenden Winkekatzen. Um die geht es hier aber nicht, nur echte Samtpfoten erscheinen in der Szenerie …
.ぼつぼつと猫迄帰る夜寒哉
botsu-botsu to neko made kaeru yozamu kana (1816)
Eine nach der anderen
kehren die Katzen heim –
die Nacht ist kühl.
づうづうと猫の寝ころぶ扇哉
zû-zû to neko no ne-korobu ôgi kana (1816)
Mrrrrr… mrrrrr –
die Katze schläft eingekringelt
auf einem Fächer.
のら猫も宿と定る萩の花
nora neko mo yado to sadamuru hagi no hana (1812)
Auch die Streunerkatze
wählt als Herberge …
die Buschkleeblüten.
Buschklee (jap. 萩, Hagi) ist eine zarte, im Herbst blühende Pflanze, die in Japan für ihre grazilen violetten bis rosafarbenen Blüten geschätzt wird. Sie gehört zur Familie der Hülsenfrüchtler und gedeiht auf Wiesen, Hügeln und in ländlichen Gärten. In der japanischen Poesie ist Hagi ein Symbol für Vergänglichkeit, Schönheit und den Herbst.
猫洗ふざぶざぶ川や春の雨
neko arau zabu-zabu kawa ya haru no ame (1816)
Die Katze wäscht sich –
plitsch platsch im Fluss,
Frühlingsregen.
のら猫も妻かせぎする夜也けり
nora neko mo tsuma kasegi suru yo nari keri (1809)
Auch der Streuner
geht auf Brautschau
in der Nacht.
陽炎に何やら猫の寝言哉
kagerô ni nani yara neko no negoto kana (1814)
Hitzeflimmern –
die Katze murmelt etwas
im Schlaf.
恋序よ所の猫とは成にけり
koi tsuide yoso no neko to wa nari ni keri (1815)
Der Liebe wegen –
meine Katze ist nun
des Nachbarn Tier.
寝て起て大欠して猫の恋
nete okite ôakubi shite neko no koi (1817)
Schlafen, aufwachen –
ein großes Gähnen –
Kätzchen geht Liebemachen.
我猫が盗みするとの浮名哉
waga neko ga nusumi suru to no ukina kana (1818)
Von meiner Katze
sagt man, sie stehle Herzen –
ein Skandal!
鶯や桶をかぶって猫はなく
uguisu ya oke wo kabutte neko wa naku (1818)
Die Nachtigall –
unter einem Eimer
miaut die Katze.
隠れ屋や猫のもすえる二日灸
kakurega ya neko ni mo sueru futsukakyû (1819)
Ein gutes Versteck –
trotzdem bekommt die Katze
ihr Wärmepflaster.
Das „Wärmepflaster“ im Gedicht bezieht sich auf eine traditionelle japanische Heilpraxis namens 二日灸 (futsukakyû). Am zweiten Tag des zweiten Monats wurde Moxibustion angewendet: Kleine Pflaster mit brennendem Wermut wurden auf die Haut gesetzt, um Krankheiten vorzubeugen und die Gesundheit zu stärken. In Issas Haiku wird humorvoll geschildert, dass sogar die Katze Teil dieses Rituals wird.
煤竹にころころ猫がざれにけり
susutake ni koro-koro neko ga zare ni keri (1819)
Mit dem Rußbesen –
spielend rollt sich die Katze
und amüsiert sich.
御仲間に猫も坐とるや年わすれ
o-nakama ni neko mo za toru ya toshiwasure (1819)
In fröhlicher Runde –
auch die Katze nimmt Platz
beim Jahresendfest.
Das Jahresendfest (年忘れ, Toshiwasure) ist eine traditionelle Feier in Japan, bei der Freunde und Familie zusammenkommen, um das alte Jahr hinter sich zu lassen und gemeinsam auf einen Neuanfang anzustoßen. Die Katze wird als gleichberechtigtes Mitglied liebevoll in die Szene integriert.
一番に猫が爪とぐ衾哉
ichiban ni neko ga tsume togu fusuma kana (1820)
Erste!
Die Katze wetzt ihre Krallen
an der Winterdecke.
初夢に猫も不二見る寝やう哉
hatsu yume ni neko mo fuji miru neyô kana (1824)
Im ersten Traum –
vielleicht sieht auch die Katze
den Fuji.
Das Haiku beschreibt humorvoll die japanische Tradition des 初夢 (hatsu yume), bei dem der erste Traum des Jahres als Omen für das Glück im neuen Jahr gilt. Ein Traum vom Berg Fuji gilt dabei als besonders glückverheißend. Issa spielt mit der Idee, dass sogar die Katze einen solchen Traum haben könnte.
紅梅や縁にほしたる洗ひ猫
kôbai ya heri ni hoshitaru aria neko (1805)
Rote Pflaumenblüten –
auf der Veranda
trocknet die gewaschene Katze.
かつしかや猫の逃込むかやのうち
katsushika ya neko no nigekomu kaya no uchi (1811)
Katsushika –
die Katze sucht Zuflucht
im Moskitonetz.
Katsushika ist ein Gebiet im östlichen Teil des heutigen Tokio, bekannt für seine mückensatten Flusslandschaften und ländliche Atmosphäre.
塗盆に猫の寝にけり夏座敷
nuribon ni neko no ne ni keri natsu zashiki (1824)
Auf dem Lacktablett
hat die Katze geschlafen –
ein Sommerzimmer.
塀の猫庇の桶やむら若葉
hei no neko hisashi no oke ya mura wakaba (1821)
Die Katze auf dem Zaun,
der Eimer unterm Vordach,
frisches Frühlingslaub.
.山寺や祖師のゆるしの猫の恋
yamadera ya soshi no yurushi no neko no koi (1817)
Im Bergtempel –
des Gründers Segen
für das Treiben der Katzen.
Der „Bergtempel“ (山寺, Yamadera) im Haiku symbolisiert einen abgelegenen, friedlichen Ort, wie er in der buddhistischen Tradition oft vorkommt. Solche Tempel, umgeben von Natur, galten als Orte der Meditation und Besinnung. Issa kontrastiert diese Heiligkeit humorvoll mit dem lauten und ungestümen Balzverhalten der Katzen. Die spielerische Vorstellung, dass der Tempelgründer (祖師, Soshi) diesem Treiben seinen Segen gibt, unterstreicht Issas charmanten Blick auf das Zusammenspiel von Alltag und Spiritualität.
Die Illustrationen stammen von DALL-E. Bei der Übersetzung aus dem Japanischen kamen moderne Methoden unterstützend zum Einsatz, darunter auch KI-gestützte Werkzeuge wie ChatGPT und Claude. Die Haiku wurden keineswegs automatisch übersetzt – jede Zeile wurde bewusst gestaltet, sorgfältig abgewogen und sprachlich verfeinert. Hierbei spielten meine langjährige dichterische Erfahrung sowie meine Arbeit als Wörtersammler, Schriftsteller und Lyriker eine entscheidende Rolle. Ich hoffe, man spürt das.