Der Nachhall der Wörter: Die Stille nach dem Gedicht

Der Nachhall der Wörter: Die Stille nach dem Gedicht

Stell dir vor: Das letzte Wort ist verklungen. Deine Augen lösen sich von Bildschirn oder Papier. Und dann — Stille.

In diesem Augenblick, wenn das Gedicht gerade seinen letzten Atemzug getan hat, öffnet sich ein Raum von ungeahnter Tiefe. Es ist, als stünde man am Rand eines Schlundes, in den Worte und Wörter hinabgestürzt sind, und lauschte ihrem Echo.

Diese Stille ist nicht leer. Tatsächlich ist sie sogar reich, geradezu erfüllt. Aber wovon. Was ist da, das wir nicht hören? Was ist in diesem Moment? Hier sind einige Ideen.

  1. Nachhall: Die Verse schwingen noch nach, wie die letzten Töne einer Glocke. Einzelne Worte, Bilder, Rhythmen tanzen im Geist, suchen noch ihren Platz.
  2. Atemlosigkeit: Für einen Moment hält die Welt den Atem an. Das Hier und Jetzt ist suspendiert, als hätte die Zeit kurz vergessen weiterzuticken.
  3. Entfaltung: Wie eine Blume öffnen sich die Bedeutungsebenen. Was zunächst verschlossen war, beginnt sich zu entblättern.
  4. Zwischenraum: Man schwebt zwischen zwei Welten – der des Gedichts und der Realität. Keiner ganz zugehörig, in einem Niemandsland der Wahrnehmung.
  5. Verarbeitung: Der Geist beginnt, das Gelesene zu verdauen. Emotionen steigen auf, Assoziationen bilden sich, Erinnerungen werden geweckt.
  6. Leere: Eine wohltuende Leere breitet sich aus. Als hätte das Gedicht den Kopf durchgefegt und Platz für Neues geschaffen.
  7. Fülle: Paradoxerweise ist diese Leere zugleich eine Fülle. Voll von unausgesprochenen Möglichkeiten, von Interpretationen und Emotionen, die darauf warten, gedacht und gefühlt zu werden.
  8. Transformation: In der Stille beginnt eine sanfte Verwandlung. Das Gelesene vermischt sich mit dem Eigenen, wird Teil des inneren Universums.
  9. Sehnsucht: Eine leise Melancholie macht sich bemerkbar. Der Wunsch, im Gedicht zu verweilen, es nicht loszulassen, während es schon verblasst, als wäre es ein Traum.
  10. Neugeburt: In der Stille wird der Leser selbst zum Dichter. Die empfangenen Worte keimen; bereit, neue Gedanken, vielleicht sogar neue Verse hervorzubringen.

Diese Stille ist ein heiliger Moment im ursprünglichen Sinn. Sie ist der Raum, in dem das Gedicht sein volles Potenzial entfaltet. Hier, in der Abwesenheit von Worten, spricht es am lautesten.

In dieser Stille liegt die wahre Magie der Poesie. Sie ist der Ort, an dem das Gedicht aufhört, Tinte auf Papier zu sein, und anfängt, Teil unseres Seins zu werden. Und jetzt? Lausche auf das, was jenseits der Worte liegt.

Also, wenn du das nächste Mal ein Gedicht liest, schenke der anschließenden Stille deine Aufmerksamkeit. Lass dich fallen in diesen Moment des Nachklangs. Denn hier, in diesem flüchtigen Augenblick zwischen den Welten, entfaltet sich die tiefste Weisheit der Verse. Lausche der Stille. Sie hat dir so viel zu sagen. Wenn nicht gar alles.

Die Illustration stammt von DALL-E via Bing und Microsoft Designer.

Schluss mit den Kalendersprüchen!

Kann nicht anders, als zu pfeifen –
der Morgen, der Wald,
so blau!

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