10 der schönsten und bekanntesten Wintergedichte ins Bild gesetzt

Winter offenbart eine eigene Poesie, die sich in der Stille und Strenge der kalten Monate entfaltet. Die Landschaften verwandeln sich, oft bedeckt von einer Decke aus Schnee, die das Licht auf besondere Weise reflektiert und die Welt in ein stilles Weiß taucht. Bäume, entkleidet von ihrem Laub, stehen wie Skulpturen gegen den blassen Himmel.

Sowohl in der deutschen als auch in der japanischen Literatur gibt es einige bekannte Wintergedichte, die die Stimmung und Atmosphäre dieser Jahreszeit einfangen. Hier findest du einige Exemplare. In Szene gesetzt wurden sie von der KI DALL-E.

Diese Gedichte sind in ihrem Stil und ihrer Herangehensweise jeweils gänzlich unterschiedlich, sie spiegeln aber stets die tiefe Verbindung der Dichter zur Natur und zu den Jahreszeiten wider. Siehe auch: 14 der schönsten Weihnachtsgedichte in Szene gesetzt

Winternacht / Gottfried Keller

Nicht ein Flügelschlag ging durch die Welt,
Still und blendend lag der weiße Schnee.
Nicht ein Wölklein hing am Sternenzelt,
Keine Welle schlug im starren See.

Aus der Tiefe stieg der Seebaum auf,
Bis sein Wipfel in dem Eis gefror;
An den Ästen klomm die Nix herauf,
Schaute durch das grüne Eis empor.

Auf dem dünnen Glase stand ich da,
Das die schwarze Tiefe von mir schied;
Dicht ich unter meinen Füßen sah
Ihre weiße Schönheit Glied um Glied.

Mit ersticktem Jammer tastet' sie
An der harten Decke her und hin,
Ich vergeß' das dunkle Antlitz nie,
Immer, immer liegt es mir im Sinn!

Die stille und friedvolle Atmosphäre sowie die Idee der Ruhe, die nur von minimalen Bewegungen durchbrochen wird, passen zu Kellers Stil, der oft Naturbeschreibungen mit einer leisen Andeutung von Veränderung und Leben füllt.

Ein Winterabend / Georg Trakl

Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
Lang die Abendglocke läutet,
Vielen ist der Tisch bereitet
Und das Haus ist wohlbestellt.

Mancher auf der Wanderschaft
Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
Golden blüht der Baum der Gnaden
Aus der Erde kühlem Saft.

Wanderer tritt still herein;
Schmerz versteinerte die Schwelle.
Da erglänzt in reiner Helle
Auf dem Tische Brot und Wein.

Winterabend gilt als eines der bedeutendsten Wintergedichte in der deutschen Literatur. Trakls lyrische Sprache und die dunklen, melancholischen Bilder sind charakteristisch für seine Arbeit.

Eisnacht / Clara Müller-Jahnke

Wie in Seide ein Königskind
schläft die Erde in lauter Schnee,
blauer Mondscheinzauber spinnt
schimmernd über der See.

Aus den Wassern der Raureif steigt,
Büsche und Bäume atmen kaum:
durch die Nacht, die erschauernd schweigt,
schreitet ein glitzernder Traum.

Clara Müller-Jahnke (1860–1905) war eine deutsche Schriftstellerin, Lyrikerin und Aktivistin der Frauenbewegung. Sie wurde vor allem durch ihre poetischen Naturbeschreibungen bekannt, die häufig mit einer melancholischen Stimmung durchzogen waren. In ihren Gedichten verband sie oft gesellschaftliche Themen mit persönlicher Empfindsamkeit und Naturbildern.

Advent / Rainer Maria Rilke

Es treibt der Wind im Winterwalde
die Flockenherde wie ein Hirt,
und manche Tanne ahnt, wie balde
sie fromm und lichterheilig wird,
und lauscht hinaus. Den weißen Wegen
streckt sie die Zweige hin – bereit,
und wehrt dem Wind und wächst entgegen
der einen Nacht der Herrlichkeit.

Die drei Spatzen / Christian Morgenstern

In einem leeren Haselstrauch
Da sitzen drei Spatzen, Bauch an Bauch.
Der Erich rechts und links der Franz
Und mitten drin der freche Hans.
Sie haben die Augen zu, ganz zu,
Und obendrüber da schneit es, hu!
Sie rücken zusammen dicht an dicht.
So warm wie der Hans hats niemand nicht.
Sie hören alle drei ihrer Herzlein Gepoch.
Und wenn sie nicht weg sind, so sitzen sie noch.

Morgensterns Gedicht ist eines seiner bekanntesten Werke und ein wunderbares Beispiel für seine humorvolle, verspielte und leicht surrealistische Poesie. Es stammt aus dem Band Galgenlieder, einer Sammlung von Gedichten, die durch eine skurrile und ironische Sichtweise auf die Welt geprägt ist.

Wenn in der Kälte / Gustav Falke

Wenn in der Kälte Groß und Klein
mit roter Nas' spazieren,
dann ruft der Ofen: „Kommt herein,
ihr sollt nicht lange frieren!"

Das Bild zeigt Menschen verschiedenen Alters, alle mit roten Nasen, die in einer kalten, verschneiten Umgebung draußen spazieren gehen. Die Szene fängt den Kontrast zwischen der kühlen Außenwelt und der Wärme des Innenraums ein und erweckt ein Gefühl von einladender Wärme in einer winterlichen Umgebung.

Es gibt so wunderweiße Nächte / Rainer Maria Rilke

Es gibt so wunderweiße Nächte,
drin alle Dinge Silber sind.
Da schimmert mancher Stern so lind,
als ob er fromme Hirten brächte
zu einem neuen Jesuskind.

Weit wie mit dichtem Diamantstaube
bestreut, erscheinen Flur und Flut,
und in die Herzen, traumgemut,
steigt ein kapellenloser Glaube,
der leise seine Wunder tut.

Sanfte Sterne schimmern, als würden sie Hirten zu einem neugeborenen Jesuskind führen. Der Boden scheint, als wäre er mit dichtem Diamantstaub bestreut, der das Licht des Mondes und der Sterne reflektiert. Die Szene verkörpert eine träumerische, ruhige Stimmung, die einen spirituellen, kapellenlosen Glauben suggeriert, der still seine Wunder im Herzen derjenigen vollbringt, die diese bezaubernde Nacht erleben.

Winterlandschaft / Christian Friedrich Hebbel

Winterlandschaft / Christian Friedrich Hebbel

Unendlich dehnt sie sich, die weiße Fläche,
bis auf den letzten Hauch von Leben leer;
die muntern Pulse stocken längst, die Bäche,
es regt sich selbst der kalte Wind nicht mehr.

Der Rabe dort, im Berg von Schnee und Eise,
erstarrt und hungrig, gräbt sich tief hinab,
und gräbt er nicht heraus den Bissen Speise,
so gräbt er, glaub' ich, sich hinein ins Grab.

Die Sonne, einmal noch durch Wolken blitzend,
wirft einen letzten Blick auf's öde Land,
doch, gähnend auf dem Thron des Lebens sitzend,
trotzt ihr der Tod im weißen Festgewand.

Hebbels Gedicht zeichnet ein düsteres Bild des Winters als Herrschaft des Todes. Die weiße Fläche steht für die lebensleere Ödnis, die alles Lebendige erstarren lässt. Selbst der hungrige Rabe findet nur die Aussicht auf sein eigenes Grab. Die Sonne scheint nur noch einmal durch, während der Wintertod triumphierend das verwaiste Land beherrscht.

Ein Winterabend / Georg Trakl

Ein Winterabend / Georg Trakl

Wenn der Schnee ans Fenster fällt,
Lang die Abendglocke läutet,
Vielen ist der Tisch bereitet
Und das Haus ist wohlbestellt.

Mancher auf der Wanderschaft
Kommt ans Tor auf dunklen Pfaden.
Golden blüht der Baum der Gnaden
Aus der Erde kühlem Saft.

Wanderer tritt still herein;
Schmerz versteinerte die Schwelle.
Da erglänzt in reiner Helle
Auf dem Tische Brot und Wein.

Trakl beschreibt eine winterliche, fast sakrale Szene, in der das Haus als Ort der Geborgenheit und Gastfreundschaft erscheint. Der Schnee, die Abendglocke und das gedeckte Mahl schaffen eine Atmosphäre der Ruhe und Besinnlichkeit, während der Wanderer auf seinem dunklen Pfad Trost und Wärme findet.

Winternacht / Joseph von Eichendorff

Verschneit liegt rings die ganze Welt,
ich hab' nichts, was mich freuet,
verlassen steht der Baum im Feld,
hat längst sein Laub verstreuet.

Der Wind nur geht bei stiller Nacht
und rüttelt an dem Baume,
da rührt er seinen Wipfel sacht
und redet wie im Traume.

Er träumt von künft'ger Frühlingszeit,
Von Grün und Quellenrauschen,
Wo er im neuen Blüten-Kleid
Zu Gottes Lob wird rauschen.

Eichendorffs Winternacht gehört zu seinen bekanntesten Werken und ist ein bezauberndes Beispiel für der romantischen Lyrik. Eichendorff thematisiert häufig die Natur und verbindet sie mit Gefühlen von Sehnsucht, Einsamkeit und transzendenter Schönheit.

Ein milder Wintertag / Annette von Droste-Hülshoff

Ein milder Wintertag / Annette von Droste-Hülshoff

An jenes Waldes Enden,
Wo still der Weiher liegt
Und längs den Fichtenwänden
Sich lind Gemurmel wiegt;

Wo in der Sonnenhelle,
So matt und kalt sie ist,
Doch immerfort die Welle
Das Ufer flimmernd küßt:

Da weiß ich, schön zum Malen,
Noch eine schmale Schlucht,
Wo all die kleinen Strahlen
Sich fangen in der Bucht;

Ein trocken, windstill Eckchen,
Und so an Grüne reich,
Daß auf dem ganzen Fleckchen
Mich kränkt kein dürrer Zweig.

Will ich den Mantel dichte
Nun legen übers Moos,
Mich lehnen an die Fichte,
Und dann auf meinen Schoß

Gezweig' und Kräuter breiten,
So gut ich's finden mag:
Wer will mir's übel deuten,
Spiel ich den Sommertag?

Will nicht die Grille hallen,
So säuselt doch das Ried;
Sind stumm die Nachtigallen,
So sing' ich selbst ein Lied.

Und hat Natur zum Feste
Nur wenig dargebracht:
Die Lust ist stets die beste,
Die man sich selber macht.

Die Natur, ruhig und malerisch, wird zur Kulisse für einen Augenblick der inneren Einkehr, in dem die Dichterin ihre eigene Verbindung zur Umgebung feiert. Die Melancholie der abgelegenen Landschaft wird durch eine zärtliche, liebevolle Beschreibung der Details ausgeglichen, die von der Schönheit und Stille der Natur zeugen. Die letzte Strophe betont, dass die Freude und das Fest der Sinne nicht von äußeren Bedingungen abhängen, sondern von der eigenen Fähigkeit, das Schöne zu erkennen und zu genießen.

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