
Der Mond im Fenster
Du blickst durch das Fenster und siehst ihn dort hängen – den Mond in seiner stillen Pracht. Doch plötzlich wird dir bewusst: Das Fenster rahmt ihn ein, macht ihn zu einem Bild. Ist er nun noch derselbe Himmelskörper oder ist er durch diesen Rahmen zu etwas anderem geworden? Diese Frage beschäftigt uns Menschen schon lange, denn sie berührt etwas Grundlegendes in unserem Wesen – die Art, wie wir die Welt um uns herum wahrnehmen und ihr Bedeutung verleihen. Siehe auch: Mondfenster
I
Fenstermond –
als träumte das Fenster
selbst vom Mond
II
Fenstermond –
die Nacht mitgebracht
aber keine Träume
III
Fenstermond –
blinzelt da jemand
in meine Träume hinein?
IV
Fenstermond –
ich wär dann so weit
doch er reist ohne mich weiter
V
Fenstermond –
was wenn er
jetzt hineinkäme?

VI
Fenstermond –
wie er mich ansieht
mir wird ganz blümerant
VII
Fenstermond –
gerahmt und geschnitten
ist selbst er nicht frei
VIII
Fenstermond –
im oberen Drittel angelangt
versucht er zu entkommen
IX
Fenstermond –
guckt er
ob jemand zuhause ist?
X
Fenstermond –
ein Bild von
einer Sichel
XI
Fenstermond –
warte, ich will dich malen
doch er ist schon weitergerückt
Geschrieben wurden die Gedichte zwischen dem 06. und 12.07.2025 von Lenny Löwenstern. Die Visualisierung besorgte DALL-E via Bing. Eine Serie von 11 nennt sich übrigens Undekalogie. Hört man aber nur selten.

Der Rahmen als Verwandlungskünstler
Ein Rahmen ist mehr als nur ein Stück Holz oder Metall um etwas herum. Er ist ein stiller Zauberer, der das Gewöhnliche in etwas Besonderes verwandelt. Wenn du einen einfachen Ast vom Boden aufhebst und ihn in einen goldenen Rahmen steckst, geschieht etwas Merkwürdiges: Plötzlich schauen die Leute genauer hin. Sie fragen sich, was es mit diesem Ast auf sich hat, warum er es wert war, eingerahmt zu werden. Der Rahmen flüstert uns zu: Schau her, das hier ist wichtig.
So verhält es sich auch mit dem Mond. Betrachtest du ihn durch ein Fenster, wird er vom endlosen Nachthimmel getrennt und bekommt eine neue Bühne. Das Fenster schneidet ein Stück Himmel heraus und sagt: Hier, genau hier, ist etwas Sehenswertes. Der Mond wird vom kosmischen Wanderer zum gerahmten Kunstwerk, ohne dass sich an ihm selbst auch nur ein Stäubchen verändert hätte.
Die Magie des Ausschnitts
Was passiert eigentlich, wenn wir die Welt in Stücke schneiden? Wenn wir einen Ausschnitt wählen und den Rest verschwinden lassen? Es ist, als würden wir mit einer unsichtbaren Schere durch die Realität gehen und sagen: Das hier nehme ich mit, den Rest lasse ich zurück. Dieser Vorgang ist zutiefst menschlich – wir können nicht alles auf einmal erfassen, also wählen wir aus, fokussieren uns, rahmen ein.
Der gerahmte Mond ist nicht mehr der Mond am Himmel, sondern der Mond in unserem Blickfeld. Er wird zu unserem Mond, zu einem Moment, den wir festhalten können. Wie ein Sammler, der einen besonderen Stein aufhebt, haben wir durch den Rahmen ein Stück Himmel eingefangen. Der Mond mag derselbe bleiben, aber unsere Beziehung zu ihm verändert sich grundlegend.
Die Verwandlung des Betrachters
Hier geschieht etwas Faszinierendes: Nicht nur der Mond wird durch den Rahmen verwandelt, sondern auch wir selbst. Aus dem beiläufigen Himmelsbetrachter wird ein Kunstliebhaber, aus dem Spaziergänger ein Entdecker. Der Rahmen macht uns zu Komplizen in der Verwandlung – wir sind nicht mehr nur Betrachter, sondern Miterschaffer des Kunstwerks.
Diese Verwandlung ist sanft und unmerklich. Du merkst vielleicht gar nicht, dass du länger hinsiehst, dass deine Gedanken abschweifen, dass der Mond plötzlich nicht mehr nur ein Himmelskörper ist, sondern ein Gefühl, eine Erinnerung, ein Traum. Der Rahmen hat dich dazu eingeladen, die Welt anders zu sehen – nicht nur zu schauen, sondern zu erleben.
Die Grenze zwischen Kunst und Natur
Wo hört die Natur auf und wo beginnt die Kunst? Diese Frage wird durch den Rahmen auf wunderbare Weise verkompliziert. Der Mond bleibt Natur – er leuchtet, wandert, wächst und schwindet nach den Gesetzen des Universums. Aber sobald wir ihn einrahmen, wird er auch zu Kunst. Nicht weil wir ihn verändert hätten, sondern weil wir unsere Wahrnehmung verändert haben.
Es ist wie bei einem Waldspaziergang, bei dem du plötzlich innehältst, weil das Licht auf eine ganz besondere Weise durch die Blätter fällt. In diesem Moment wird der Wald zur Galerie, die Bäume zu Skulpturen, das Licht zum Pinselstrich. Du hast nichts verändert und doch alles verwandelt – einfach durch die Art, wie du hinsiehst.
Das Spiel mit der Aufmerksamkeit
Der Rahmen ist auch ein Lehrer in Sachen Aufmerksamkeit. Er sagt uns: Hier ist etwas, das deine Zeit wert ist. In einer Welt, die uns mit Eindrücken überflutet, ist das eine kostbare Gabe. Der gerahmte Mond zwingt uns zur Langsamkeit, zur Besinnung. Er wird zum Gegenpol der Eile, zum stillen Moment in der Hektik.
Vielleicht ist das der wahre Zauber des Rahmens: Er schenkt uns Zeit. Zeit, um zu schauen, zu staunen, zu träumen. Der Mond war schon immer da, aber erst der Rahmen macht ihn zu einem Ereignis in unserem Leben. Aus dem fernen Himmelskörper wird ein Begleiter, aus dem kosmischen Phänomen eine persönliche Erfahrung.
Die Poesie des Alltäglichen
Am Ende zeigt uns der gerahmte Mond etwas Wunderbares über unser Menschsein: Wir sind Geschöpfe, die aus allem Kunst machen können. Ein Fenster, ein Bilderrahmen, ein Blick – mehr brauchen wir nicht, um die Welt zu verwandeln. Der Mond bleibt der Mond, aber wir verwandeln uns in Künstler, in Träumer, in Entdecker.
Diese Fähigkeit ist ein Geschenk. Sie bedeutet, dass Kunst nicht nur in Museen und Galerien zu finden ist, sondern überall um uns herum wartet. Sie muss nur eingerahmt werden – durch unsere Aufmerksamkeit, durch unseren Blick, durch unsere Bereitschaft, die Welt als das zu sehen, was sie ist: ein endloses Kunstwerk, und du kannst es entdecken.

