Haiku Beispiele – Originale Gedichte aus Japan in deutscher Sprache

Haiku Beispiele – Originale Gedichte aus Japan in deutscher Sprache

Haiku sind kurze Gedichte. Sie kommen aus Japan und sind seit rund 100 Jahren auch im Westen beliebt. Diese Form der Poesie zeichnet sich durch Kürze und Präzision aus. Meist in drei Zeilen gesetzt, fangen sie einen Moment der Gegenwart ein, der unmittelbar miterlebt werden kann.

Hier findest du einige meisterhafte Beispiele, die direkt aus dem Japanischen übersetzt wurden.

Traditionelle Haiku sind kurze Naturgedichte mit einem jahreszeitlichen Bezug – mal direkt, mal eher versteckt. Ein kalter Mond verweist auf den Winter, Pflaumenblüten auf den Frühling, Glühwürmchen auf den Sommer und Ahornblätter auf den Herbst. Typische Themen sind Vergänglichkeit, Tiere, Pflanzen, Wetterphänomene und die Schönheit der Welt in ihrem stetigen Wandel.

Die Beispiele zeigen einen Teil der tatsächlichen Spannbreite, denn die ist enorm, auch wenn die Gedichte schon das eine oder andere Jahrhundert auf ihren Schultern tragen. Siehe auch: 10 berühmte traditionelle Haiku

yukuharuya shunjuntoshite osozakura (1782)

Schwindender Frühling,
noch zögert er –
die letzten Kirschblüten.

Autor: Yosa Buson

Yosa Buson (1716–1784): Dichter und Maler der Edo-Zeit. Seine Haiku sind bildhaft und sinnlich, oft wie Gemälde in Worte gefasst. Er verband Ästhetik und Emotionalität meisterhaft.

.けふも死に近き入りて草の花
kyô mo shinu ni chikaki irite kusa no hana (1803)

Auch heute wieder,
dem Tode ein Stück näher –
Wiesenblumen.

Autor: Kobayashi Issa

Kobayashi Issa (1763–1827): Haiku-Dichter mit humorvoller, mitfühlender Stimme. Er schrieb über das einfache Leben und das Leiden der kleinen Kreaturen mit tiefem Mitgefühl und leiser Melancholie.

kangetsuya mon naki terano ten takashi (1768)

Mondbetrachtung im
Tempel ohne Tor –
der Himmel ist weit.

Autor: Yosa Buson

Statt abstrakt über die Welt zu sprechen, zeigen Haiku sich direkt und unvermittelt. Dabei bleiben sie offen, ohne alles auszusprechen. Das Ungesagte kann weiterklingen und so eine entscheidende Rolle in den Gedanken des Lesers spielen. Die japanische Sprache mit ihrer Flexibilität und Vorliebe für Wortspiele verstärkt den Effekt noch. Endreime und Überschriften, wie wir sie gewohnt sind, gibt es im Haiku übrigens nicht, was seine Schlichtheit und Konzentration auf das Wesentliche betont. Mehr über die Geschichte des Haiku bei Japanwelt.

Haiku Beispiele – Originale Gedichte aus Japan in deutscher Sprache

こつそりとしてあそぶ也浅黄蝶
kossori to shite asobu nari asagi chô

Vollkommen lautlos,
blassgelbe Falter
im Spiel miteinander.

Autor: Kobayashi Issa

Wehmut ist ein häufiger Gast in traditionellen Haiku.

.さらばさらばの手にかかる霞かな
saraba saraba no te ni kakaru kasumu kana

Leb wohl, Leb wohl –
die winkende Hand
verblasst im Nebel.

Autor: Kobayashi Issa

Das berühmte Silbenschema 5-7-5 spielte in den Originalen eine wichtige Rolle. Aber nicht in den Übersetzungen der Haiku. Ich habe es ignoriert.

寝て起て大欠して猫の恋
nete okite ôakubi shite neko no koi (1817)

Schlafen, aufwachen –
ein großes Gähnen –
Kätzchen geht Liebemachen.

Autor: Kobayashi Issa

.牛もうもうもうと霧から出たりけり
ushi mô mô mô to kiri kara detari keri (1816)

Muh, muh, muh –
aus dem Nebel treten
die Kühe hervor.

Das Bild ist herrlich einfach: Aus dem Nebel treten Kühe hervor, ihr Rufen kündigt sie an. Der dreifache mô verstärkt das Klangbild und bringt eine fast humorvolle, lebendige Note ins Haiku. Das Gedicht lebt von seiner Lautmalerei. Das dumpfe Muhen wird greifbar, fast als Echo aus dem Nebel. Der Nebel selbst verstärkt die Überraschung, denn plötzlich tauchen die Tiere daraus auf – wie aus dem Nichts. Es hat eine leicht schelmische, fast skurrile Stimmung, typisch für Issa, der gerne Alltagsszenen mit einem Hauch von Humor einfing.

Haiku Beispiele aus Japan Klassiker

haru mo yaya keshiki totonou tsuki to ume

Kaum ist der Frühling da,
findet sich alles:
der Mond, die Pflaumenblüten.

Autor: Matsuo Basho

Matsuo Basho (1644–1694): Meister des Haiku und Wegbereiter der japanischen Dichtung. Er verband Naturbeobachtung mit tiefer philosophischer Reflexion und prägte den Zen-haften Stil des Haiku.

tachibana ya itsu no nonaka no hototogisu

Orangenblüte –
wann und aus welchem Feld
ruft der Kuckuck?

Autor: Matsuo Basho

Bashos Vers hat einen nostalgischen, fast mythischen Klang. Es könnte sich auf eine alte, vergangene Zeit beziehen – oder auf das Gefühl, dass die Natur und ihre Klänge immer gleich bleiben, während Menschen und Epochen vergehen.
Im Originsl ist von Tachibana Bäumen die Rede. Die Tachibana ist eine seltene, duftende Zitruspflanze, die in Japan seit der Antike kultiviert wird. Anders als die bekannten Orangenbäume trägt sie keine essbaren Früchte, sondern ist vor allem wegen ihrer immergrünen Blätter und ihres feinen Blütendufts geschätzt. In der klassischen japanischen Poesie steht sie für Eleganz, Beständigkeit und vergangene Zeiten.

Haiku Beispiele aus Japan Klassiker

真桑瓜見かけてやすむ床几哉

Die Makuwa-Melone entdeckt –
und schon sitze ich
auf dem Hocker.

Wir wissen nicht, ob der Dichter die Frucht auf dem Schemel sitzend lediglich bewundern oder sie viel lieber gleich an Ort und Stelle vertilgen möchte. Die Makuwa ist eine Kürbisgurkenmelone.

Autor: Masaoka Shiki

Shiki (1867–1902): Reformator des Haiku in der Moderne. Er führte Realismus und Alltagsnähe ein und prägte den Begriff „Shasei“ (Skizzieren aus der Natur), um Haiku direkter und bildhafter zu gestalten.

Hito inete naka ni mono nashi tsuki to ware

Alle schlafen –
nur ich und der Mond
sind noch wach.

Autorin: Seifu-jo

Ja, auch Frauen schrieben Haiku. Sie drückten Naturverbundenheit und innere Gefühle auf poetische Weise aus und brachten so eine einzigartige Perspektive in die Haiku-Dichtung ein. Ihre Werke sind voller Sinnlichkeit und leiser Melancholie, oft mit einem Hauch von Vergänglichkeit und Sehnsucht.

Shiragiku ya kakaru medetaki iro iva naluite

Weiße Chrysanthemen,
so voller Glück,
sie brauchen keine Farben.

Autor: Yosa Buson

名月を重ねっこけつ波の間
meigetsu wo kasanekkoketsu nami no ai (1788)

Der Herbstvollmond
schaukelt und schwankt
im Auf und Ab der Wellen.

Autor: Kobayashi Issa

Haiku Beispiele aus Japan Klassiker

Morgentee –
wie still die Welt ist,
Chrysanthemenblüten.

Matsuo Basho

Viele Haiku tragen die meditative Tiefe des Zen-Buddhismus in sich. Kein Wunder – nicht wenige Haiku-Dichter waren selbst Mönche.

水音のたえずして御佛とあり
mizu oto no taezu shire Mihotoke to ari

das endlose Geräusch
des Wassers –
Buddha!

Autor: Taneda Santoka

yoi yado de dochira mo yama de mae wa sakaya de (1933)

ein großartiges Gasthaus –
ringsum Berge
und davor ein Sake-Laden

Autor: Taneda Santoka

Taneda Santoka (1882–1940): Wandernder Zen-Mönch und freier Haiku-Poet. Er schrieb unorthodoxe, rhythmenfreie Haiku mit minimalistischem Stil, oft über Einsamkeit, Natur und das einfache Leben.

筆ならハ我ものみこむつるぎ哉

Wäre mein Pinsel
ein Schwert –
ich verschlänge es!

Autor: Masaoka Shiki

Ein kämpferisches, modernes Haiku. Schreibpinsel hat man seinerzeit genutzt. Der Dichter stellt sich bereit, die zerstörerische Kraft des Schwerts auf sich zu nehmen, damit niemand sonst verletzt wird. Neutralisierung: Das Verschlingen macht die Waffe funktionslos und zeigt die Macht der Kunst, Gewalt zu überwinden. Transformation: Es könnte auch bedeuten, dass die Kraft des Schwerts in die kreative Energie des Dichters umgewandelt wird.

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Haiku Beispiele aus Japan Klassiker

Die Illustrationen stammen von DALL-E, die Übersetzungen von Lenny Löwenstern. Bei der Übertragung der Haiku aus dem Japanischen kamen moderne Werkzeuge zum Einsatz, darunter ChatGPT und Claude. Die Haiku wurden nicht automatisch übersetzt – jede Zeile ist bewusst gestaltet, sorgfältig abgewogen und sprachlich verfeinert. Jedes Haiku wurde individuell bearbeitet, um Wesen und Ausdruck zu bewahren. Dabei spielt meine langjährige dichterische Erfahrung ebenso eine Rolle wie meine Arbeit als Wörtersammler und Schriftsteller.

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