Winterhaiku — 20 traditionelle, japanische Gedichte

Winterhaiku — 20 traditionelle, japanische Gedichte

Haiku sind prägnante Gedichte, es ist typisch für sie, die Schönheit und Vergänglichkeit der Jahreszeiten einzufangen. Sie sind ein fester Bestandteil der japanischen Kultur und lange schon auch im Westen beliebt.

Haiku dienen als Mittel, um die flüchtigen Momente des Lebens festzuhalten und die Verbundenheit mit der Natur auszudrücken. Hier sind 20 herausragende Beispiele klassischer Haikumeister aus Japan. Siehe auch: Herbsthaiku — 20 traditionelle, japanische Gedichte

In den Händen geschickter Dichter verwandelten sich die kargen Winterlandschaften in poetische Meisterwerke. Mit nur wenigen Worten gelang es ihnen, die Essenz des Winters einzufangen – das Knistern des Schnees unter den Füßen, das sanfte Glitzern der Eiszapfen im Mondlicht und die Stille, die sich über das Land legte. Siehe dazu auch: 20 Neujahrs-Haiku von Kobayashi Issa

Diese Winterhaiku sind Zeugnisse einer Zeit, in der die Menschen noch eng mit den Rhythmen der Natur verbunden waren und in der Poesie eine Möglichkeit fanden, diese Verbindung auszudrücken.

shimo hyakuri shuchuni ware tsukiwo ryousu

Hundert Meilen weit der Frost
vom Sake temperiert –
gehört der Mond jetzt mir.

Yosa Buson, 1775

Im Original spricht Buson von hundert Ri, das ist eine alte japanische Maßeinheit, etwa 392 km), sie ist hier als große Weite zu verstehen. Buson schrieb viele Winter-Haiku.

shigure o ya / modokashi gari te / matsu no yuki

Winterregen –
angespannt wartet die Kiefer
auf den Schnee.

Matsuo Basho

kangetsu ya kareki no ue no hitotsu hoshi

Frostmond –
über einem kahlen Baum
ein einzelner Stern.

Masaoka Shiki

nabe sagete yodo no kobashi wo yuki no hito

Mit Töpfen in der Hand
über die Brücke von Yodo –
Frauen im Schnee.

Yosa Buson

hatsu yuki ya sakaya saiwai tsui tonari

Der erste Schnee –
im Sake-Laden
liegt das Glück gleich nebenan.

Kobayashi Issa, 1822

Winterhaiku — 20 traditionelle, japanische Gedichte

提灯の一つやに入る枯野かな

Eine Laterne
tritt in die Hütte ein –
winterkarge Steppe.

Masaoka Shiki

Frostklare Nacht.
Der Mond wirft blaue Schatten
auf den weißen Schnee.

Masaoka Shiki

asa hare ni pachi-pachi sumi no kigen kana

Frostmorgen –
die Holzkohle knackt und knistert
in sprühender Laune!

Issa

shimo gare ni saku wa shinki no hana no kana

Im Frost verdorrt –
doch immer noch in Blüte,
die letzten Blumen!

Matsuo Basho

higoro nikuki karasu mo yuki no ashita kana

Wie ich sie hasse –
doch wenn Schnee fällt,
ist sogar die Krähe schön.

Matsuo Basho

Normalerweise sind Krähen eher unangenehm, sie gelten als laut, frech oder unheilvoll. Aber wenn es schneit, erscheint selbst die Krähe anders – ruhiger, friedlicher oder sogar schön. Siehe: Die Krähe im Haiku … 7 Schwarze Vögel zwischen Lachen und Einsamkeit

Winterhaiku — 20 traditionelle, japanische Gedichte

hatsu yuki ya suisen no ha no tawamu made

Der erste Schnee –
gerade so viel, die Blätter
der Narzisse zu biegen.

Matsuo Basho

naganaga to kawa hito suji ya yuki no hara

Hingestreckt der Fluss
wie eine einzige Linie –
in der verschneiten Ebene.

Nozawa Boncho (1640-1714)

Boncho war ein Schüler von Matsuo Basho. Die ruhige, gleichmäßige Bewegung des Flusses im Gedicht, die sich über das weite Schneefeld erstreckt, vermittelt eine Atmosphäre von Stille und Kontemplation, die typisch für die Jahreszeit und die Szene ist.

Winterhaiku — 20 traditionelle, japanische Gedichte

yuki yori mo samushi shiraga ni fuyu no tsuki

Kälter als Schnee –
die weißen Haare
unter dem Wintermond.

Naito Joso (1662–1704)

Dieses Haiku bringt eine starke, fast schmerzvolle Empfindung der Kälte zum Ausdruck, die sich in den weißen Haaren spiegelt. Die winterliche Kälte wird nicht nur durch den Schnee, sondern noch stärker durch das Licht des Mondes empfunden, was auf die Vergänglichkeit und die Nähe zum Lebensende hinweist. Joso war ein Schüler von Matsuo Basho und einer der bedeutenden Haiku-Dichter der Edo-Zeit.

aru no yuki furu onna wa makoto utsukushii

Frühlingsschnee fällt –
die Frauen sind
wirklich schön

Taneda Santoka, 1936

kogarashi ni kusu-kusu buta no netari keri

Im Winterwind –
ein Schwein kichert
im Schlaf.

Kobayashi Issa, 1807

tansetsu ni mina shôgatsu no kokoro kana

Zarter Schnee –
Neujahrsfreude überall
in den Herzen.

Kobayashi Issa

Winterhaiku — 20 traditionelle, japanische Gedichte

hatsuyukino sokowo tatakeba takeno tsuki

Der erste Schnee
fällt von den Zweigen –
Mond über dem Bambus.

Yosa Buson, 1770

seishi no naka no yuki furishikiru

Zwischen Leben und Tod
fällt Schnee –
unaufhörlich.

Taneda Santoka

matsumo toshi wasurete neruya yoruno yuki

Matsumoto –
das Jahr vergessen
im Schnee dieser Nacht.

Yaosa Buson, 1768

Matsumoto ist ein Ort in Japan, der für strenge Winter und eine Burg bekannt ist.

sabishisa wa tokushin shite mo mado no shimo (1804)

Die Einsamkeit,
ich verstehe sie –
doch der Frost am Fenster …

Issa spürt eine gewisse Resignation: Man kann sich mit der Einsamkeit abfinden, aber die Kälte bleibt trotzdem.

Mehr Haiku

Die Kamelie steht als Symbol für den Winter und frühen Frühling. Ihre plötzliche und vollständige Blüte, die schnell abfällt, symbolisiert die Vergänglichkeit des Lebens und bringt Momente der Schönheit und Eleganz in den Fokus.

Kamelien im Schnee

Werkstattbericht

Die Illustrationen auf dieser Seite stammen von DALL-E, die Übersetzungen von Lenny Löwenstern. Bei der Übertragung der Haiku aus dem Japanischen kamen moderne Werkzeuge zum Einsatz, darunter ChatGPT und Claude. Die Haiku wurden nicht automatisch übersetzt – jede Zeile ist bewusst gestaltet, sorgfältig abgewogen und sprachlich verfeinert. Jedes Haiku wurde individuell bearbeitet, um Wesen und Ausdruck zu bewahren. Dabei spielt meine langjährige dichterische Erfahrung ebenso eine Rolle wie meine Arbeit als Wörtersammler und Schriftsteller.

📺 Ein Video über Kirschblüten mit japanischen Haiku — Gleich anschauen!

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